Um 7 bin ich aufgestanden - um 9:00 gestartet. Richtung SüdWest. Ich will mich an der Diretissima entlag hangeln, so gut es geht unter Vermeidung von Hauptstraßen und natürlich Autobahnen. Als ich nach 600 km in Limoges ankam, Zentrum des Limousin, war ich durch die Lorraine, die Champagne und die Bourgogne gefahren, hatte die nördlichen Ausläufer des Massif Central gequert und - ich war angekommen.
Angekommen in meiner Reise.
Der erste Tag ist immer zwiespältig. Raus aus Deutschland, um sich einzustimmen auf Anderes, als das Bekannte, das Alltägliche. Also düst man los, macht Strecke, um sich zu entfernen. Und dann ist man draußen und stellt fest: Draußen bin ich, aber noch nicht drin. Die Empfindungen fehlen noch. Man hat sich selbst mitgenommen, nicht hinter sich gelassen, wie den Alltag. Er lebt noch in einem fort, löst sich nicht wie es die geographische Distanz einen glauben machen will. Es muss erst was typisch Anderes von mir Besitz ergreifen. Meine Stimmung manipulieren, meine Wahrnehmung verändern.
Erst heute kam ich an. Eine Nacht muss wohl immer sein. Ein Frühstück im Schall anderer Klänge. Sprachfetzen, die ich nicht verstehe. Ein anderer SingSang.
Dann war ich auf der Straße. Schönes Wetter, aber - wie gestern - diesig. Dann wurde es neblig, so dass ich meine Speed zurück nehmen musste. Es war kühl. Nicht so sehr laut Thermometer - eher die ‚gefühlte Kühle‘.
Riesiges Land! Gewaltige Agrarflächen und die schäbigen Dörfer lassen vermuten: Früher waren es Fürsten, die alles besaßen und die Bauern waren Leibeigene. Heute scheinen mir an die Stelle der Fürsten agrarische Großbetriebe getreten. Die Bauern sind Tagelöhner geblieben und haben noch immer nix. Zumindest sieht‘s so aus, wenn man sich die Ärmlichkeit der Dörfer und Behausungen ansieht.
Irgendwann, so um die späte Mittagszeit, fahre ich in Serpentinen einen Südhang hinunter und der Sommer ist da: Es ist plötzlich warm, 20° zeigt das Thermometer und die Fahrt bekommt einen anderen Charakter. Es wird mediterran, obwohl ich mich eher im geografischenZentrum des Landes bewege und damit weit entfernt vom Mittelmeer.
Am Straßenrand ein kleiner Stop zur Mittagszeit. Sandwich Jambon cru mit einem eau mineral haben bei der Ankunft in einem anderen Land geholfen, mich selbst hinter mir zu lassen. Und der Cafée Express half mit.
Ich bummle weiter, überquere die Seine und später bei La Charité-sur-Loire die Loire. Sie liegt breit in ihrem Bett und es wird sichtbar, weshalb sie diese gewaltige Ausdehnung hat, die man im Sommer angesichts des Wasser-Rinnsals nicht versteht. Die Sandbänke sind verschwunden und die verbuschten Inseln sind plötzlich wasserumspült.
Die letzten km schlängle ich mich um größere Städte auf kleinen Wegen vorbei. Viele km auf Sträßchen ohne erkennbare Fahrbahnbegrenzung. Dorfverbindungssträßchen eben ohne weiße Begrenzungspfosten und man gerade 2,50 m breit, die sich von Gehöft zu Gehöft durch die Felder ziehen. Herrlich.
Ich bin wirklich angekommen in meiner Reise, als ich in Limoges aus dem Sattel steige. Ein gutes (nicht exquisites) Abendessen soeben in einem Restaurant um die Ecke samt un pichet vin rouge hat sozusagen den Korken auf die Flasche gesetzt, in der die Reise gährt.