Ich bin deutlich über 5 Stunden gegondelt, habe oft angehalten, habe mich oft umgesehen. Ein richtiger Bummeltag - so soll es sein. Garmin hat mich einen verrückten Weg geführt gemessen an einer Hauptverbindung, die nahe an der Luftlinie die beiden Städte mit eine direkten Straße verbindet - 206 km und 3 Stunden Fahrzeit.
Schönes Wetter ist ja relativ und ich denke, dass die Bauern auf der kargen und im Sommer völlig verbrannten Hochebene, über die ich heute fast den ganzen Tag gefahren bin, heilfroh darüber sind, dass es auch heute geregnet hat. Ich bin gnädig davon gekommen - ein nicht nennenswerter Dusch. Aber es war fast durchgehend geschlossene, dunkel Wolkendecke, was den Stimmunghaushalt von der Wetterseite her beeinflusst hat.
Wie gesagt: Ich durchfuhr die nördliche Flanke der Sierra de Guadarrama und bewegte mich damit den ganzen Tag im Schnitt bei gut 1000m und pendelte zwischen 900m und 1400m Höhe auf und ab. Die Sierra ist extrem dünn besiedelt (ca 15 Einwohner/qkm) und teilweise überhaupt nicht landwirtschaftlich bearbeitet. Riesiege grüne Flächen wechselten mit völlig verkarsteter und von Macchia und Steineichen bewachsenen Regionen ab. Wo Bewirtschaftung in den Kartsregionen erfolgt, sieht man den Kampf um jeden bewirtschaftbaren qm Boden an den Grenzen der Felder, die sich in den Hügeltäler zwischen die steinigen Hügel schmiegen.
Die Dörfer verfallen zusehens. An ihre Stelle tritt industralisierte Landwirtrschaft in Form großflächiger Intensivtierzucht - meist Schweine, was man riecht. Überall die hässliche Zweckbauten - flache lange Stallungen mit den Futtersilos, die ohne großen Aufwand die Fütterung dosiert zuführen. Sehr häufig formen Wind-Spargel die Horizontlinie. Hier gehört die Windenergie hin: Nicht zu bewirtschaftende Steinwüste, keine Menschen und viel Wind, der über die Höhenzüge zischt. Rechts und links der Passhöhen der Straßen, wo also die Basiszuwegung gegeben ist, stehen die Spargelfelder. Oft an die hundert Rotoren.
Gelegentlich ein kleines Städchen, das in den Randbereichen jeden optischen Charme verliert, weil landwirtschaftliche Zweckbauten, Getreidesilos, Lagerhallen, Gewerbetreibende wie Transportunternehmen und Baugeräte-Depots unter reinen Zweckgesichtspunkten ihre Aktivitäten sichtbar machen. Im alten Kern sind es oft noch die Bauten aus früheren Zeiten, die durchaus gepflegt die Seele der Menschen wärmen, wenn sie sich auf ihrer Plaza bei Festlichkeiten und Markttagen begegnen. Da hat sich im Kern nicht viel geändert.
Die Städtchen und Dörfer liegen aus nachvollziehbaren Gründen fast immer an einem Bach - die alle Rio, also Fluss heißen - oft in jäh abfallenden tiefen Einschnitten in der Steinwüste Sierra, denn um nichts anderes handelt es sich. Was hier noch zu Dorfansiedlungen reicht, habe ich als Oase in den Steinwüsten in der Sahara gesehen:
Irgendwo, am tiefsten Punkt, sammelt sich immer noch etwas Wasser und hält sich ausreichend auch in der Trockenzeit. Im einen oder anderen Dörfchen habe ich fotografiert und versucht ein wenig fest zu halten, was dort baulich passiert.
Andererseits auf der Hochebene, mitten inder Wüste und ca 150 km nordöstlich Madrid, plötzlich ein sehr großflächige "Urbanisación", auf dem Reißbrett entworfen und in die Landschaft geknallt ohne jeden gewachsenen Bezug. Allen Varianten an Sommerhäuschen "aus dem Obi" von Holz über Beton und Ziegel bis hin zur "kunstvoll gefugtem" Pseudonaturstein-Attrappe. Die Häuschen stehen jedes auf einem vergleichsweise großen Grundstück - Platz ist ja genug - verloren herum, die Fensterläden zu, die Türen verrammelt, der Garten, wenn man das so nennen kann, verwildert.
Dahinter steckt die Stadtflucht aus den Karnickelstall- und Legehennen-Wohnsiedlungen in den Ballungsräumen in den heißen, fast 3-monatigen Sommerferien, wo sich die Frauen mit den Kindern in die "luftige Sierra" begeben, wo es wirklich deutlich angenehmer ist, als in den Städten. Wer kann, hat in der Sierra ein kleines Sommerdomizil, oder erkennt einen, der eins hat, was ein sehr nachvollziehbares Ziel ist, wenn man z.B. in Madrid lebt und dem Backofen entfliehen will.
La Granja, wo mein Parador in einem Teil einer gewaltigen Klosteranlage am Fuß der Sierra Navacerrada residiert, liegt auf dem Weg nach Madrid wenige km hinter Segovia, durch das ich fuhr. Ich habe einen Bummel gemacht, denn Segovia ist ein absolutes Muss mit dem Alcazar, der Kathedrale und dem wirklich eindrucksvollen Aquaeduct aus der Römerzeit - nebst einer Reihe weiterer historischer Sehehnswürdigkeiten. Ich war in den späten 60ern gelegentlich hier, aber nie in der Kathedrale, die ich heute ein wenig angeschaut habe.
Gothik, aber durch die ockerfarbenen Steine ungewöhnlich freundlich und weich in der Ausstrahlung.
Ein Wort zu diesem Parador: Er stellt das Höchste dessen dar, was ich bisher erlebt habe. Ein historisches Gebäude architektonisch und vom Einrichtungsstil derart harmonisch, dass sich bedaure, hier nicht wenigstens noch einen Tag gebucht zu haben - vielleicht hole ich das auf dem Rückweg nach. Die folgenden Bilder können nur versuchen ein Wenig von dem zu vermitteln, was mich so begeistert.
Stell Dir vor ein ca 100 m lang gestrecktes, 4-stöckiges historisches Gebäude getragen von Gewölben, das der gesamten Länge nach in der Mitte einen etwa 12m breiten Raum lässt nach oben mit einem Glasdach abgeschlossen, durch das nach unten das Tageslicht fällt. In jedem Stockwerk Arkaden, von denen aus die Zimmer nach außen gerichtet sind, während nach innen der Blick in den offenen Raum bleibt und man die jeweils gengenüber und darunter liegenden Arkaden einsehen kann. Abends geschickt beleuchtet, in den Nischen Accessoirs, die Mauern wohl wenigstens 120 cm dick. Unten sind der Frühstücksarum, im nächsten Sektor eine Ruhezone mit Pflanzen und einem leise plätschernden Brunnen, in der Dritten ein Wellnesbereich mit bis hin zur Möglichkeit, als Golfer zu putten....
Aber komm her, mach Dir ein Bild - und das war das Abendessen - den Espresso hab ich nicht geknipst: