Nein, es war kein kalter Tag und die Sonne schien gleichermaßem südlich und nördlich des Hauptkammes der Cordilleras Cantabricas. Um das feststellen zu können, musste ich aber zunächst über den Puerto de Pajares, die Wetterscheide für den Verkehrsteilnehmer auf Rädern und den Pilgersmann, der auch da rüber muss.
Heute morgen bin ich gegen halb Elf aufgebrochen und habe mich für die ersten ca. 50km östlich fahrend auf die Autobahn geklemmt und bin dann Richtung Benavente auf die Landstraße abgebogen. Beide Strecken bin ich am 20.03.2007 gefahren - allerdings in entgegengesetzter Richtung nach Baiona. Hinzu kommt, dass die Landschaft nicht sehr spannend ist.
Mich interessierte heute eher die Querung der bereits erwähnten Hauptkamms der Cordilleras Calabricas, dieses von den östlichen Pyrenäen sich über die gesamte nördliche Kante der Halbinsel sich erstreckenden Gebirgszuges, der sozusagen "aus dem Mittelmeer auftaucht" und am westlichen Ende gleichermaßen schroff in den Atlantik abfällt, eben dort, wo ich gestern durchgefahren bin, in Galicien. Mit ihm verläuft die wesentliche Wetterscheide, die dafür verantwortlich ist, dass der Norden Spaniens wasserreich, grün und weitgehend bewaldet ist im Gegensatz zu dem Spanien, was in unserer Vorstellung auftaucht, wenn wir an Spanien denken.
Ich bin also auf der Landstraße bis Benavente gefahren und der Parador, den ich in sehr angenehmer Erinnerung habe, grüßte mich sozusagen von der Bergnase herab, auf der er thront, als ich um ihn herum die Richtung von West-Ost auf Nord wechselte.
Bis León scheint es bretteleben und die Straße verläuft gerade aus. Der Anstieg von Benavente bis Leòn beträgt gerade 120m auf ca 60km. Man kann weit sehen und das Wetter war dazu angetan. Ungefähr 40km vor León ist der weiß verschneite Bergzug zu erkennen - er liegt quer zu meiner Richtung, erstreckt sich rechts und links so weit das Auge reicht und kommt natürlich zunehmend näher.
Ich kurve durch León und stoße auf ein wahrlich prächtiges, hochmodernes Gebäude, neu aus Glas und rotem Marmor - phantastische, teure Architektur, und ich denke zuerst, dass es sich um einen modernen Kirchenbau handelt, auf den ich frontal zukomme. Erst als die gewaltigen Ausmaße des sicher 30, 40 m hohen Gebäudes der Länge nach sehen kann, weil mein Weg mich daran entlang führt - Marmor-Säulen-Fassade über sicher 150m Länge, darüber verspiegeltes Glas, das die Marmorfassade öffnet - erfasst mein Auge im Vorüberfahren die Erklärung: Junta de Castilla Y León oder auch: Die Provinz-Regierung! Dagegen sind viele Berliner Minsterien und Botschaften namhafter Länder lächerliche Hütten - die Spanische werde ich mir demnächst mal anschauen.
Dann ging es in die Berge hinauf, wurde kühler, nicht kalt. Von Süden kommend merkt man den Anstieg nicht besonders stark. Das liegt vor allem daran, dass man sich ja bereits auf 750m Höhe befindet und der Puerto de Pajares man gerade knapp 1400 m hoch ist, also sogar deutlich tiefer, als so mancher, den man ohne es zu merken im Land quert.
Dennoch sind die näherkommenden Berge ziemlich eindrucksvoll - von Weitem und wenn man drin steckt. Der Schnee trägt zu einer übertriebenen Wahrnehmung der Höhe bei, denn Schnee im April im "warmen" Spanien? Da muss man doch schon sehr hoch sein.
Erst die vergleichsweise steile und lange Abfahrt in langen Serpentinen-Folgen hinunter Richtung Atlantik und damit letztlich auf Meereshöhe - fast zumindest, hinein ins grüne Asturien mit den engen Bergtälern macht auch auf der Straße die Gebirgsfahrt spürbar.
Die letzte Kneipe vor dem Puerto de Pajares, der nur 1378 m hoch, aber von weißen Bergen umstellt ist, hat - dem auch hier verlaufenden Pilgerweg nach Santiago seine Reverenz erweisend - den Namen Casa Ezequiel 2. Man müsste mal in der Bibel nachlesen (oder im alten Testament?) was da steht.
Auf dem Pass öffnet sich dieser Blick hinein nach Asturien - und auf das gute Reisewetter, das ich mir erhofft hatte:
Asturien ist wirklich grün - wie die ganze Nordkante Spaniens. Das völlig andere Klima im Vergleich mit dem eher wasserarmen und steppenartigen Restspanien südlich des Bergkammes hat auch einen anderen Menschenschlag geformt.
Mir fällt - vor allem auch in den Städtchen und industriellen Knotenpunkten - das erbärmliche Leben in Straßenschluchten, das Wohnen in Plattenbauten direkt an den Hauptverkehrsstraßen auf. Die Wäsche hängt auf den Balkonen, um im Zweifelsfall zwar trocken, aber wieder schmutzig zur Verfügung zu stehen.
Das Problem der Menschen entlang der ganzen Spanischen Nordküste vom Baskenland bis Galcien besteht weitgehend darin, dass die Berge zum Atlantik hin steil abfallen und nur gelegentlich Raum lassen für menschliche Aktivitäten. Das hat zur Folge, dass überall dort, wo sich Industrie und Gewerbe ansiedeln wollen, kein geeigneter Platz, keine Flächen vorhanden sind, also drängen diese Aktivitäten entlang der Bach- und Flußläufe die Täler hoch in die Berge. Das führt gelegentlich zu Standorten, die wahrlich kein vernünftiger und wirtschaftlich handelnder Mensch freiwillig wählen würde. Der Verkehr muss mithalten und die Wohnbebauung auch und alle haben auch keinen Platz. Also geht es in die Höhe und grauenhafte Wohnbesiedelung entsteht in den wirtschaftlich genutzten Tälern.
Kurz vor Oviedo hat mich GARMIN weisungsgemäß beim Lenker genommen und mich über zwei wunderbare, kleine, enge, unbefahrene, fast idyllisch zu nennende Pässchen Richtung Santander durch Asturien geführt. Dann rechts ab, wieder tiefer in die Berge hinein, die ich noch gar nicht verlassen hatte, bis es dann ein paar km Richtung Picos de Europa ging, nach Cangas de Onis, dem Parador in einem wunderbar gestalteten ehemaligen kleinen Kloster am Fluss Sella am Rande eines vergessenen Dörfchens mit gleichem Namen.
Frisch gemacht habe ich mich in dem mir unbekannten Parador umgesehen und ein paar Fotos gemacht.
Wieder fand ich die Fähigkeit der Architekten bestätigt, das Alter des Gemäuers mit modernem Komfortanspruch zu einer angenehmen Einheit zu verbinden.
Auf dem Gelände habe ich den Hinweis gefunden, es lohne sich der Spaziergang entlang des Flüsschens zu den Cangas, die ca 2 km entfernt seien. Eine wenig erhellende Skizze zeigte eine Anhäufung von Dingen am Fluss und im Fluss. Nicht wissend, was Cangas sind und das Bedürfnis verspürend, bei gutem Wetter einen längeren Spaziergang zu machen, schnürte ich los, auf einem wirklich fast verwunschenen kleinen Weg entlang des Flussufers, gespannt zu erkunden, was Cangas eigentlich sind.
Der Weg zog sich, ich war alleine, konnte niemanden befragen und war schon in Sorge, vielleicht an den mir unbekannten, als sehenswert eingestuften Ereignisssen oder Besonderheiten, ja vielleicht freigespülten Funden aus vorkeltischer Zeit? - vorbeigegangen zu sein, ohne sie als bedeutend zu erkennen. Waren Cangas vielleicht die Felsüberhänge oder die am Wegrand in einem Häuschen gefasste Quelle mit sprudelnder Schüttung?
Ich will das Rätsel lösen: Ich weiß noch immer nicht, was Cangas sind, vermute aber stark, dass es die Stromschnellen waren, auf die ich gestoßen bin, denn eine andere ernst zu nehmende Erklärung fehlt - wobei die Stromschnellen aber vergleichsweise so harmlos, wenn auch hübsch anzusehen waren, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass in Bayern irgend jemand angesichts der vielen Klamms auf den Gedanken käme, diese Cangas als sehenswert ein zu stufen oder gar ein Dorf samt Kloster danach zu benennen.
Dennoch, es war ein schöner Spaziergang mit anheimelnden, friedlichen Bildern und gut getan hat er mir auch. Die Frage was Cangas nun eigentlich sind, war unwichtig geworden. Sie hatten ihren Dienst getan und mich, den Gehfaulen, verführt, einen langen Spaziergang zu machen.
Nachtrag: Auf einer ersten Suche nach den Cangas zu Hause habe ich festgestellt, dass Cangas de Onis bis 774 Sitz des Königs von Asturien war, was mich angesichts dessen, was ich wahrgenommen habe, doch sehr überrascht - aber das ist ja nun auch schon ein Weilchen her und der Glanz hatte Zeit zu verblassen.... Näheres hier»