Heute ist der 7. Juni 2009 - Wahltag zum EU-Parlament. Es gibt nochmal reichlich Spargel und ein duftender Mürbeteig-Boden wartet auf Erdbeeren und Sahne. Ausreichender Abstand zu der zurückliegenden Reise durch Spanien, um einen Blick über die Schulter zu werfen.

Ich habe den Eindruck mit nach Hause genommen, dass es immer schwieriger wird, eine neue Route für die nächste Tour zu finden - erst recht jetzt, wo ich endlich die Nord-West-Ecke auch "eingefangen" habe. Dieses Gefühl spiegelt natürlich nicht die Realität wieder, denn das spanische Straßen-Netz bietet gerade auf den Nebenstraßen ausreichend unbefahrene Strecken, um noch einige Jahre neue Routen finden zu können.

Spanien-Reisen 2001 bis 2009Darum geht es aber nicht - eng wird es bezüglich des landschaftlichen Charakters. Ich habe bei meinen Versuchen, die Tageseindrücke zu fassen, festgestellt, dass die Landschaft letztlich doch immer wiederkehrenden Charakter hat. Das liegt daran, dass das Netz meiner Touren in den vergangenen 8 Jahren ziemlich eng geworden ist, wenn man Regionen, geologische Gegebenheiten und klimatische determinierte Zonen zugrunde legt. Eigentlich fehlt nur noch die Küste, die ich allerdings lieber den Touristen überlasse.

Natürlich taucht immer wieder Überraschendes, Unerwartetes hinter einer Kurve, am Ende eines Aufstiegs auf, eröffnet sich ein beeindruckender An- oder Ausblick, formen Sonne und Schatten traumhafte Bilder mit der Kraft, Stimmungen hervor zu rufen, die man gerne teilen würde. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass es kaum mehr möglich sein wird eine Tour durch Spanien zu finden, die neuen landschaftliche Gegebenheiten neue Reize entlocken kann.

Andererseits aber lassen meine Sprachkenntnisse und die Vertrautheit mit der spanischen Mentalität Nähe zu und bieten damit die Voraussetzung für eine tiefergehende Wahrnehmung, als dies möglich wäre, entschiede ich mich für ein noch unbekanntes Land, dessen Sprache ich nicht spreche. So bleibt die Sehnsucht nach Spanien im Inneren, nach den Stimmungen, die meine Art des Reisens begleiten.

Es geht mir bei meinen Motorrad-Reisen in Spanien ja nicht darum, Absolutes, Einmaliges, Unübertreffliches zu erleben und den staunenden Blicken Dritter vor Augen zu führen - ein Versuch, der ohnehin lächerlich wäre angesichts der Tatsache, dass heute dank Billigflug und TUI "jeder ja schon überall war" und wenn nicht, so hat uns das Fernsehen bestens ausgeleuchtete Bilder und zugehörige Information professionell aufbereitet angeboten. Allein die Vielzahl der Motive auf Ansichtskarten zeigt schon die engen Grenzen meiner Fotoausbeute.Wenn Hemmingway im "Tod am Nachmittag" das Umfeld des Stierkampfes zu seiner Zeit aus eigenem Erleben beschreibt, so malt er mit Worten Bilder von Spanien, die meine Versuche banal erscheinen lassen. Dessen bin ich mir durchaus bewusst.

Aber ich will ja nicht in Konkurrenz treten zu den TV- und Photo-Profis oder Reiseschriftstellern. Mir geht es um persönliches Erleben und Stimmungen, die ja auch immer geprägt sind von meiner Befindlichkeit an diesem Tag, zu diesem Moment - mehr nicht - und wenn ich durch ältere Reiseberichte zappe, wie ich es gelegentlich tue, erlebe ich die Berechtigung meinen Reiseseiten - zumindest für mich.

Es ist ein Aspekt meines Erlebens; wahrgenommen mit meine Sinnen, festgehalten mit meinen Möglichkeiten, gefiltert durch meine Zensur.

Und so beschäftigt mich am Ende der Reise ein weiteres Thema - mein Faibel für die Paradores.

Vielleicht ist Dir, Leser, aufgefallen, dass meine naiv-unkritische, ja gelegentlich schwärmerische Schilderung eines Bildes der heilen Paradores-Welt im Firnis leichte Haar-Risse zu bekommen beginnt. Da war meine Empörung über das Billigangebot beim Besuch einer Saline im Parador von Cardona im letzten Jahr, meine Kritik an einer gewissen "Monotonie" der Speisekarte und weitere Andeutungen am Rande - Folge von Blicken auf die hinter den "Paradores" stehenden kommerziellen Zwänge.

Das freut mich nicht, denn die verlässliche Geborgenheit einer gepflegten Hotel-Atmosphäre am Ende des jeweiligen Reisetages ist ein wesentliches Element meines Reisegenusses.

Ich habe versucht hinter die Ursache der etwas beunruhigende "Verfallserscheinung" zu kommen und ich glaube sie entdeckt zu haben: Der Geist des Massentourismus dringt unaufhaltsam durch die dicken Mauern alter Herrenhäuser, Klöster und Burgen und beginnt Besitz zu ergreifen....

Ich bin mir - ein Umstand, über den ich mir zuvor noch keine Gedanken gemacht habe - bewusst geworden, dass die Qualität eines Hotels nicht nur durch sein Angebot an Ambiente und Service und die Bemühungen des Personals um den Gast bestimmt wird, sondern gleichermaßen durch das Verhalten der Gäste. Beide Seiten beeinflussen sich gegenseitig.

Wenn Gäste - und das ist Zeitgeist - Preisüberlegungen über Qualität stellen oder wenn Gäste zwar über Geld verfügen, aber unglücklicherweise nur über Geld (Prototyp: die neureichen Russen), dann führt das - gelinde gesagt - zu Missverständnissen mit Folgen.

Die Paradores - ich habe das in meinen Berichten oftmals zu dokumentieren versucht - sind ihrer Idee nach nicht nur Hotels der gehobenen Klasse, sondern meistens auch auch Orte mit besonderer bauhistorischer Substanz. Sie bieten in der innenarchitektonischen Verbindung ehemaliger Herrensitze durch einfühlsame Möblierung mit hochmodernem Komfort ein Ambiente mit kulturellem Anspruch, der von der Hotelleitung und dem Personal getragenen in zurückhaltender, kultivierter Gastlichkeit zum Ausdruck kommt.

Paradores stellen damit unausgesprochen Forderungen an den Gast; Forderungen an die Wahrnehmung des Ambiente und ein korrespondierendes Benehmen.

Ich nehme im Restaurante del Parador Tordesillas meine cena (Abendessen). Angenehmes, stilvolles und ruhiges Ambiente, anspruchsvoll eingedeckte Tische, die Gäste meist angemessen gekleidet, also lässig, aber gepflegt, gedämpfte Gesprächslage.

Ein Paar in den Dreißigern betritt das Restaurant - er mit Vo-ku-Hi-lang-Haarmähne im schwarzen Muskel-shirt und Werbeaufdruck, goldglitzernde Rolex, fordernde Körpersprache, sie T-shirt in pink und seeeeehr blond - und nimmt zwei Tische weiter Platz. Der Bordell-Prinz von Sachsen-Anhalt lässt grüßen.

Man ordert unüberhörbar und unterhält sich unangemessen laut. Die Nahrungsnahme - nicht einmal Essen, geschweige denn Speisen wären die angemessen Worte um den Vorgang zu beschreiben - erfolgt schmatzend und das Gespräch mit vollem Munde pflegend, die Elenbogen aufgestützt bei mir absolut neuem Einsatz von Messer und Gabel. Nein, keine regionale Sitte, sondern schlichtweg Prolls mit Geld.

Sicher ein Extremfall, aber ich beobachte einen schleichenden Prozess der darin zum Ausdruck kommt, dass das Publikum den Rahmen nicht mehr so recht füllt, den Paradores bieten. Etwas überheblich überspitzt könnte man sagen: Stil trifft Proll.

Das hat Folgen: Wenn die angebotene Qualität in Stil, Ambiente und Service - alles wirtschaftlich gesehen Angebote, die teuer in der Aufrechterhaltung aus Sicht der Hotels sind - nicht wahr genommen werden (können), dann hat das a la longe zur Folge, dass die darin zum Ausdruck kommende Qualität zurück genommen wird. Der Standard sinkt unausweichlich.

Die Aufmerksamkeit und Zugewandtheit des Personals geht zurück. Ich vermute, dass die Anzahl der Service-Kräfte reduziert wird und unausgebildete, weil preiswerter, vermehrt eingesetzt werden.

So musste ich am Anfang meiner Reise, wie beschrieben, in Benidorm ein paar Tage vorausplanend reservieren. Meine Bitte, die Reservierung für mich zu übernehmen, was ja im internen Paradorverkehr ein Leichtes ist und was bisher immer von der Reception angeboten wurde, lehnte man ab und gab mir zu verstehen, dass ich das schon selber machen müsse. (Was hätte ich ohne Spanischkenntnisse und eigenen Laptop getan, frage ich mich?). Bei mehrtägigem Aufenthalt werden die Zimmer nicht mehr nach Kundenbedürfnis wieder hergerichtet, sondern dann, wenn sie eben nach Plan dran sind. Die üblichen Signalschilder für die Türe mit der Bitte, das Zimmer herzurichten, scheinen überflüssig, denn sie werden nicht wahrgenommen oder ignoriert. Ich habe erkennbar schon länger im Rahmen verschobene Bilder auf einem Flur beobachtet und am nächsten Vormittag den Abfall vom Vortag im offenen Behälter in einem vielbegangenen Treppenhaus - alles nicht entscheidend und alles kann mal passieren, aber dennoch sind das Indikatoren eines unschönen Prozesses schleichenden Qualitätsverlustes.

Paradores müssen in ihrem Markt bestehen, ich sehe das ein, und der Wettbewerb wird härter, seitdem sie sich im üblichen Touristenmarkt mitmischen wollen.

Seit dem es moderne Paradores gibt, also Neubauten an touristisch attraktiven Orten - Stichworte: Golf, Strand - hat die Reibungsfläche mit dem Wettbewerb zugenommen. Das Alleinstellungsmerkmal "historische Gebäude mit kulturellem Anspruch" zur Präzisierung des Marktprofils wurde verwässert und man hat sich auf ein offenes Wettbewerbsfeld begeben, wo heut zu Tage die großen Reiseveranstalter über Preise Massenpublikum "einfliegen". "Billig" und "Rabat" und fünf Sterne sind die unschlagbaren Lockmittel heutiger Hotel-Angebote, denen sich die Paradores kaum entziehen können. Das geht zu Lasten der Qualität, der Exclusivität.

"Willkommen in der Luxussuite im Burj Al Arab" sagte der Empfangs-Chef zu den Gewinnern der Paar-show in RTL 2!

Meine Chance ist Reisen am Rande der Saison, wenn die Auslastung von Hotel und Restaurant vergleichsweise spärlich ist und das Publikum eher meines Alters.

Erdbeerkuchen
Rückblick auf Spanien 2009