Um Punkt 7:00 Uhr nach noch ungewohnter Sommerzeit - also um 6:00 Uhr gefühlter Zeit - schreckt mich ein höllisches Jaulen und Pfeifen auf und der Vorhang zur offenen Balkontür droht aus den Schienen und zum Balkon hinaus gerissen zu werden!

Guten Morgen
Guten Morgen
unterwegs
unterwegs

Ich springe aus dem Bett und just in dem Moment, in dem ich die Türe zu mache, fegt eine Sturmböe meine Balkongarnitur mit lautem Krachen ins Balkongeländer und verkeilt sie da: Erst der unverzichtbare Plep-Palstikstuhl, gefolgt von dem recht schweren Tisch, den es auf die Paltte dreht und zum Schuss donnert der zweite Stuhl mit lautem Getöse in das entstandene Gewirr. Dazu klatscht ein Regenschauer auf das Geschehen.

Stimmt: Für heute war Sturm angesagt und schon gestern Abend sausten tiefhängende Wolkenfetzen über das Paradies. Sauber, dachte ich mir, das kann ja was werden, verriegelte die Tür, Vorhang zu und weiter geratzt.

Gegen 9:00 Uhr wachte ich auf: Windig wars und kabbelig das Meer, aber blitzblanker, blauer Himmel. Der Blick aus meinem Fenster verhieß nur Gutes für meine Tageswanderung nach Alcañiz.

Nichts stand meinem Plan im Weg, erst mal auf die Küstenstraße bei Sant Feliou einzufädeln und bist Lloret sozusagendurchzuschwingen. Kurz nach 10:00 Uhrwar ich unterwegs bei bestem Wetter. (Der Wind, der den ganzen Tag sehr heftig und extrem böig ständiges Gegesteuern und ausgleichende Gewichtverlagerung forderte, kam hier, auf der Lee-Seite, nicht zum Tragen, machte aber später das Fahren auf der Autobahn zur Schwerpunktverlagerungs-Übung erster Klasse.)

Ich habe den Genuss 2001, als ich die Strecke zumm ersten Mal fuhr, schon einmal in Worte zu fassen versucht - guggst Du hier - und es war wieder so:

unterwegs
unterwegs
unterwegs
unterwegs
unterwegs

Fast kein Verkehr, traumhafte Straßenführung und anhaltend bester, griffiger Belag, glatt und absolut schlaglochfrei, bezaubernde, ja kitschige Ausblicke auf die ins Meer stürzenden, ockefarbigen, pinienbewachsenen Felsen, deren Füße im tiefblauen Wasser umspült Gischt entwickelten.

Ich bin öfters stehehn geblieben, habe genossen und auch mal fotografiert. Kitsch, dachte ich so vor mich hin, ist der Teil der Kunstwelt, der Jedermann Primitivträume von heiler Welt vorgaukeln; unintellektuell, nicht interpretiert, nicht reflektiert. Kitsch ist Balsam für die Seele - Kunstgenuss anstrengende Arbeit.

Auch Conchita - bis auf 2 Monate genau mein Alter - und Carmen, die mir erklärten, dass es hier und insbesondere in Lloret de Mar so besonders schön sei, habe ich geknipst. Der Mann von Conchita verabschiedete mich mit dem Hinweis, vorsichtig zu sein und zog sein linkes Hosenbein hoch, um mir seine Prothese zu zeigen - Kniegelenk aus Metall und Leder inbegriffen - Folge eines Motorradunfalls, den er vor vielen Jahren erlitten hatte.

Hinterher wurde mir wieder mal klar, dass ich weit entfernt bin vom professionellen Berichterstatter: Nicht die lächenlnden Damen, das Bein hätte ich fotografieren soillen! So wie ich alles knipse, nur wenn mein Motorrad umfällt, dann setze ich alles in Bewegung, es rasch wieder auf die Beine zu kriegen, statt das Malheur erst mal zu fotografieren. Aber das hoffentlich nicht vorkommende nächste Mal!

Bevor mich die Magnetkraft des Molochs Barcelona in einen unentrinnbaren und unübersichtlichen Verkehrsstrudel ziehen konnte, bin ich auf die Autobahn umgestiegen uPausend bis Tarragona durchgedüst. Bevor ich die unangenehme, böige Fahrt bei sehr regem Verkehr auf der meist vielspurigen Autobahn hinter mir ließ, war es deutlich Mittag geworden und ein Junk-Food-Menu der reichhaltigen Sorte stärkte mich: Die Augen waren mal wieder größer als der Magen....

Über Reus gings dann hinein ins Land - Alcañiz im Fadenkreuz meines Navi, bemüht meiner Weisung zu folgen: schnellster Weg, aber wo möglich meiden von Hauptstraßen.

unterwegs unterwegs
unterwegs unterwegs

Und so bummelten wir drei - mein Navi, mein Motorrad und ich - genüsslich durch Spanisches Hinterland nicht ohne wiederholte Freude darüber, dass die EU auch die kleinsten Nebenstraßen gesponsert hat, die sich mit glatter, von allen störenden Unebenheiten freien Oberfläche, bestens markiert und höchster Straßenbaukunst folgend, in harmonischem Kurvenverlauf durch die bergige Landschaft brechen.

Berge sind kein Hindernis und es stellt sich anscheinend nicht die Frage, was es kostet, sich durch Felsmassive zu fräsen, Tunnel zu bohren und Täler elegant zu überspannen - die eleganteste Lösung aus Sicht von Straßenbauingenieuren scheint gerade gut genug.

Manchmal, allerdings, befällt mich, den abgehoben pflichtfreien Genussreisenden, Wehmut, wenn das Spanien, das ich suche, umfahren wird, weil die neuen Straßenführungen am Wesen des Landes vorbei führen; schnell und auf dem kürzesten Weg ohne Blick nach links und rechts, ohne Wahrnehmung der durch Klima und landschaftliche Gegebenheiten in Jahrhunderten gewachsenen Harmonie der bestehenden Besiedelung. Machet Euch die Erde untertan - die Spanier fräsen sie sich zurecht! An Stelle des Echten treten touristische Ghettos in denen das Spanien gegen Geld das als Scheinwelt zu sehen ist, was allenthalben zerstört wird, weil Geschwindigkeit und Kommerz es verlangen, weil die Mittel verbaut werden müssen, weil modern so erstrebenswert ist.

unterwegs
unterwegs
unterwegs
unterwegs
Parador
PArador

Aber das ist nicht typisch für Spanien, sondern irgendwie ein weltweiter Trend: Man sammelt die touristischen Attraktionen in künstlichen Vergnügungsparks. Talmi genügt - die Originale mussten der modernen Zeit weichen. Aber man findet sie noch - unverhofft hinter der nächsten Kurve weit ab vom Schuss, wie diese Burg irgendwo im Nirgendwo.

Aber ich muss zugeben, dass die Spanier bei der Gestaltung und Entwicklung ihres Lebensraums meine Erwartungshaltung nicht als Maß der Dinge ansehen können und mein Rumnörgeln an den Veränderungen der Welt, hier speziell der spanischen, für das Jetzt, Hier und Heute belangloser Ausdruck der Unfähigkeit eines alten Mannes ist, sich in gebotener Geschwindigkeit anzupassen. (Aber bedenke, junger Leser: Nichts ist schon deshalb besser, weil es neu und machbar ist - abwarten, was sich bewehrt und Menschen weiter bringt - auch und insbesondere in ihrem Wohlgefühl.)

Aber zurück zu den Fakten: Noch, übrigens, habe ich nichts gesehen vom Darniederliegen baulicher Aktivitäten und kommerzieller Betriebsamkeit als sichtbare Auswirkung der Finanzkrise. Aber gut, ich bin erst zwei Tage unterwegs und das in Cataluña, wo ohnehin der Reichtum des Landes konzentriert ist.

PartadorSo gegen 17:30 Uhr stieg ich vor dem Parador Alcañiz vom Sattel, betrat den ehemaligen Klosterhof und war von diesem Ambiente gefangen. Das ehemalige Kloster liegt auf einem Bergkegel und bildet sozusagen den Besiedelungs-Gipfel einer sich übereinander stapelnden Altstadt. Den Blick nach unten auf die Stadt und über die intensiv landwirtschaftlich genutzte Ebene aus den beiden Fenstern meines großzügigen und angenehmen Eck-Zimmers im dritten Stock unter dem Dach vermittelt einen kleinen Eindruck.

Etappe 2
Etappe 2
Aiguablava - Alcañiz (Dienstag, 30.03.2010 - Etappe 2)