Schafskälte. Bedeckter Himmel, Regen und Wind in Mittelfranken. Also der richtige Moment, einen Blick zurück zu tun auf meine nun schon vor zwei Monaten beendete Reise. Und ich bin froh, dass ich meine Reiseaufzeichnungen immer unter dem frischen Eindruck des jeweils Erlebten gemacht habe, denn ein Blick aus dem Fenster verstellt jeden Zugang zu meiner Stimmung unterwegs in Spanien. Also: Erst mal durchblättern, Stimmung aufnehmen.
Gelungen: Es ist wieder da, das feeling, das mich begleitet hat - dem Blick aus dem Fenster zum Trotz.
Ich habe eien Freundin, die ist USA-affin. Per se. Natürlich war sie in verschiedenen Vergnügungsparks. Als wir ihr gesprächsweise einen Aufenthalt in Venedig und die Stimmung erwähnten, die uns gefangen hatte, konterte sie, die das Original auch kennt: Venedig sei im Venetian (Hotel in Las Vegas) viel schöner und im Gegensatz zu Italien viel sauberer! Sie scheint mir im Gegensatz zu mir auf der Höhe der Zeit. Vielleicht helfen ihr die 14 Jahre, die sie jünger ist, als ich.
Ich kann dazu nichts sagen. Vielleicht ist das so. Vielleicht werden die kommenden Generationen das durchgängig so empfinden (womit man sich die mühseligen Erhaltungsaufwendungen speziell für Venedig, aber auch für alle antiken Bauwerke ersparen könnte) und die Darstellung der Welt in Parks oder als Kommerzkulissen - wie auch in Bremerhaven in der auf Klein-Italien gestylten Mall mit dem verlockenden Namen Mediterraneum - anschauen. Frei von Eingeborenen und deren seltsamen Verhaltensweisen, frei von fremdartigen Gerüchen und unverständlichen Geräuschen, frei von regionaltypischem Klima? Und das viel schöner finden, als das Original? Talmi statt Original? Schein statt Sein? Oberfläche statt Inhalt?
Die nächste Entwicklungs-Stufe ist wohl schon eingeleitet: Man wird vielleicht gar keine Wirklichkeit mehr brauchen sondern ruft die gewünschte Stimmung in 3D via Flachbildschirm einfach ab? Sonnebräunen am Strand eingeschlossen?
Das dachte ich, als ich meine Gedanken las, die mir gleich am ersten Tag in Spanien auf dem Weg nach Alcañiz auf den elegant in die Landschaft gefrästen Umgehungsstraßen gekommen waren.
Sprung - heute ist bereits der 05. Juli. Der Tag lässt sich orten.
Vorgestern haben wir unseren 4:0-Sieg gegen Argentinien gefeiert. Public Viewing, Fan-Meilen, Massenhysterie. Schön und erschreckend. So empfinde ich das. Zeitgeistbedürfnis und Lebensfreude zugleich. Aber auch Ansatz zur Gleichschaltung - Spielwiese für Demagogen?
Und gestern haben die Bayern ihre Wahlfreiheit in Sachen Rauchen in Gaststätten einer kleinen, entschlossenen Gruppe geopfert. Der Sieg der Bürger über die Politik! Sieg der Demokratie!
Inzwischen ist der Sommer über uns her gefallen - mit Macht und erbarmungsloser Hitze. Der Siebenschläfer hatte es angekündigt. Ich sitze im Schatten unterm Apfelbaum mit Blick in das idyllische Spießer-Paradies unseres Gartens, das die Frage aufwirft: Weshalb eigentlich wegfahren und anderenorts ein Ferienhaus für teures Geld mieten im Wissen, dass ich eine bessere Situation nicht finden werde, als die, die ich zu Hause habe? Einen Grund gibt's schon: Das Meer fehlt hier in Mittelfranken. Unverkennbar. Aber darüber hinaus?
Motorrad fahren bei diesem Wetter ist dem vorbehalten, dessen Gehirn keinen Schaden nimmt, wenn es unterm Helm gegart wird. Dennoch habe ich mein Bike heute Morgen, als es noch kühl von der Nacht war, von der Wartung geholt. Ein neuer Hinterreifen war fällig geworden. Meine Befürchtung, Motorradfahren könne mir keinen Spaß mehr machen, nachdem ich die zurückliegenden 2 1/2 Monate nicht mehr im Sattel gesessen bin, war sofort verflogen und ich bin sicher: Auch 2011 muss ich das Jahr wieder in Spanien eröffnen. Auch auf die sehr naheliegende Gefahr hin, nun wirklich nur noch und ausschließlich in Wiederholungs-Schleifen meine Seitenlage auszuleben.
Mich bruhigt, dass ich alleine fahren werde und nicht merke, wenn meine Leser mich wegklicken.
Aber vielleicht - nein ich bin sicher - ich werde trotzdem Neues erleben und berichten können und wenn es nur die Sicht auf das Erlebte aus dann 73-jährigen Augen sein wird.
Nun denn - ACIMUN - bis dann.......
Nachtrag
Diesmal habe ich es - ungewollt - tatsächlich fast geschafft, die in den Vorüberlegungen zu dieser Reise skizzierte Route nachzuziehen.