Ich sitze irgendwo im Nirgendwo am Straßenrand und bin glücklich!

Vor mir ein frühlingshaft jungfräulich grünendes Weinfeld, in der Ferne glitzert das Wasser der Rhône. Es sind 19° und die Luft ist staubig-sonnig. Die ersten 60km liegen hinter mir. Die Sonne scheint.

Eine Ursache für meine Glücksgefühle ist mein Trike! Ich bin draussen, raus aus dem Wettbewerb der Männlichkeit, dem Ehrgeiz des Bikers, der macho, jung, forsch und nicht aufzuhalten signalisieren muss.

Kennst Du das Daseinsgefühl in einer Ente, einem 2CV, meine ich? Dann weißt Du, wieviel Muße und Gelassenheit von meinem Trike auf mich über geht. Ich muss nix!

Nicht erster sein, nicht überholen, selbst, wenn ich könnte. Ich kann passiv fahren, bummeln, anhalten, schaun, weiterfahren oder - wie gerade jetzt - mein iPad rausholen und meine Stimmung notieren oder meine unterm Helm in stummen Selbsgesprächen formulierten Gedanken niederschreiben, um sie nicht zu vergessen; ich kann sie festhalten, wenn sie geschehen, nicht erst abends rückerinnernd. Ich habe durch mein Trike etwas Wesentliches dazu gewonnen.

park inn OrangeDer Start hat reibungslos geklappt. Vorgeschaltet war das Auseinanderklamüsern der Sachen, die im Auto bleiben und das Festlegen des Stau-Schemas. Das muss sitzen, sonst suche ich mich dumm und dammlich. Bei meiner BMW war das jahrelang feststehend - jetzt ist alles anders. Ich muss wissen, wo was ist. Regensachen obenan und im raschen Zugriff. Fotoapparat auch. Warnweste auch. Möglichst nur wenige Teile in's Hotel schleppen. Wenn ich ich mich umgezogen habe, soll niemand mehr erkennen, dass ich mit einem Freiluftfahrzeug unterwegs bin. Diese Reiseform berechtigt nicht dazu, in einem gepflegten Hotel- und Restaurant-Ambiente ungepflegt aufzutreten.

Kreditkarten an zwei Stellen. Portemonnaie und Handy müssen zuverlässig immer in der gleichen Tasche sein. Der Schlüssel auch, wenn ich absteige und ihn abziehe. Den Zweitschlüssel und den Tresorschlüssel des Hotels - Schließfach 17! (merken, Ulli) - unverlierbar & unstehlbar in der Hose verstauen. (oder runterschlucken?)

Na usw.

Bis alles am Platz war, das Auto geparkt und mit Hänger gesichert, habe ich ein Weile gebraucht. Ein Schweizer Knabe um die 60 hat die Gelegenheit genützt, mich auf mein Trike anzusprechen. Ob man es denn wie ein Motorrad fahre. Er habe nämlich eine BMW und die sei ihm mittlerweile zu schwer und unhandlich geworden und er suche schon lange nach einer Alternative. (Wenn ich Herr Piaggio wäre wüsste ich, wo mein Markt wäre. Nicht bei denen, die sich noch nicht mehr als einen Roller leisten können, sondern bei den "Bestagern" mit Kohle, die, wie ich und mein Schweizer Freund, gerne das Fahrgefühl des Bikes weiter genießen wollen, aber sich dem schweren Motorrad aus der Blüte ihrer jungen Jahre eigentlich nicht mehr in allen Aspekten gewachsen fühlen.)

Und dann hat mich GARMIN, mein inzwischen vielgereistes Motorrad-NAVI, an der Hand genommen und mich eine Streck geführt, auf die ich nie alleine gekommen wäre. Ich bin gespannt, wie's von hier, im Umland des Rhône-Ufer bei Beaucaire, wo mich GARMIN zunächst hingeführt hat, weiter geht.

Angekommen in meinem Hotel in Albi weiss ich das. Und die Richtung hat durchaus meistens gestimmt, wenn man berücksichtigt, dass ich vorgegeben hatte: Schnellster Weg (nicht kürzester!) - keine Autobahnen - keine Hauptverkehrsstraßen. So sind aus den 285 geplanten km nun 350 geworden. Die ich im Schnitt von 41km/h gefahren bin.

La Petite Camargue
La Petite Camargue
La Petite Camargue
.... und ich dachte, die Jungs-Frisur se wieder out?
La Petite Camargue

Erst tummelten wir - GARMIN und ich - uns in den Niederungen der Küstennähe. Er führte mich durch eine Region, die sich La petite Camargue nannte und durchaus so war, wie die, die man so kennt. Dort habe ich das Pferd mit der Zeitgeist-Frisur fotografiert und die verrostete, einbahnige, schotterbelegte Brücke über einen kleinen Kanal, die angesichts des Wetters und des Sonntags doch ziemlich frequentiert wurde.

In der knappen viertel Stunde, die ich mich da aufhielt, querten wenigstens 8 Autos, die aussahen, als ob sie der TÜV nicht mehr durchgehen lassen würde, gefahren von Menschen eher ländlichen Schlages. Sie fuhren den Schotterweg entlang und ließen mich mit der unbeantworteten Frage zurück: Wo fahren die bloß alle hin? Ich hatte die Vorstellung, dass sie sich um einen großen Mittagstisch im Freien vor einer wettergegerbten Hütte am Rande des Kanals im Schatten einer Platane einfanden, um Deftiges aber schmackhaftes mit ausreichend Rotwein hinunter zu spülen und sich dabei in langen, immer lauter werdenden Diskussionen - vielleicht über den Ausgang der heute stattfindenden Präsidentenwahlen - auszutauschen?

Garmin führte mich vorbei an La Grande Motte von Süden kommend durch Montpellier und wir verirrten uns ganz schrecklich in der Altstadt, weil - wie gerade vor wenigen Wochen in Toulouse erlebt - heftige Bauarbeiten den Altstadt-Kern mit Sperrungen und Umleitungen im Griff haben. Der Fremde - in diesem Falle ich - fährt auf der Suche nach dem rechten Weg verzweifelt mehr oder minder im Kreis. Irgendwann war mir das zu bunt und ich folgte - GARMIN hin, GARMIN her - einem Schild Millau, wohl wissend, dass es uns nach Norden aus der Stadt hinaus wies. Was ich nicht wollte, was aber geschah: Ich befand mich sehr schnell auf der Autobahn, die Montpellier - auf dem Hauptkamm des Masif Central verlaufend -mit Clermont-Ferrand verbindet.

unterwegs
Celles
Blick auf Celles am Lac du Salagou
unterwegs
unterwegs

Nach einigen km war es GARMIN zu bunt und er verwies nach Westen. Ich folgte und es ging in die Berge - letztlich von Meereshöhe auf 1000m. Die Strassenqualität ging bis auf die niedrigste Kathegorie herunter: nämlich keine mehr. Entsprechend schmal und frei von jeder Markierung schlängelte ich mich durch leeres Land. Irgendwo - vermutlich auf dem höchsten Punkt, schlug das Wetter um: Aus bis dato meist heiterem Wetter bei bis zu 20° am Mittelmeer wurden regnerische und windige 8°.

in der unwirtlichen Einsamkeit wurde ich bitter an die von mir in trotziger Männlichkeit aufrechterhaltene Weigerung erinnert, Ulrikes lebensweiser Empfehlung zu folgen, die da lautet: Pinkeln geht man nicht erst, wenn man muss, sondern immer dann, wenn sich eine Gelegenheit bietet.

Nein, ich habe mir nicht in die Hosen gemacht; die Regel werde ich mir nach der heutigen Erfahrung dennoch in übertragenem Sinn zu eigen machen.

Also da, wo ich fern ab jeder Zivilisation bei nasser Kälte um 1000 Kürvchen in den Bergen herumirrte, meldete mein Navi, in dem ich die Reichweite des Tanks programmiert habe: Tanken! Noch war der Tank knapp 1/4 voll, die Anzeige also dort, wo die Striche rot werden. Weit und breit keine Tankstelle. Als ich in einem verlassenen Kaff vor einer stand - so zwei Zapfsäulen, die zum Handpumpen einzuladen schienen - war die geschlossen. Sonntag! Wahlsonntag! Und Siestazeit! Ich fuhr weiter, spritschohnend. Der Zeiger im roten Feld hatte 3 von 5 Strichen verbraucht. Albi 31 km stand auf dem Schild. Der Tank fasst gerade man 12 Liter. Mit der Furcht im Nacken, im Nirgendwo im Regen stehen zu bleiben, zitterte ich mich rein nach Albi. Erleichterung. Esso. Und es wurde eifrig getankt. 4 Zapfsäulen, alle Spritsorten, an jeder ein Automat. Gefordert: Kreditkarte. 4 habe ich dabei. Keine ging! Refusée! Ohne Grund, denn ich zahle ständig damit.

Also habe ich schließlich kurz vorm Nervenzusammenbruch einen jungen Mann gebeten, mir auf seine Karte 10l einzufüllen, deren Gegenwert ich ihm dann bar gab.

Gelernt habe ich: sowie die Spritanzeige unter halbvoll fällt, wird getankt. 6l sind zwar nicht gerade viel, aber heutzutage für den Tankwart schließlich auch schon ein erkennbarer Umsatz.

Gelandet bin ich im Hotel Saint Antoine. Ich wollte trotz guter Erfahrungen im Mercure (guggst Du hier») ein von HRS als besser beurteiltes, abgesteigen. Das war ein (verschmerzbarer) Fehler.

Nein, ich mag sie nicht mehr, die berühmt charmanten, kleinen alten Hotels in den französischen Innenstädten, die auch dann nicht zeitgemäß sind, wenn sie renoviert wurden, wie meines. Dicker Flachbildschirm und WiFi kostenlos. Aber: WC, Waschbecken und Badewanne in einem Raum. Kein Bidet und keine Duschtrennung an der Badewanne mit der Folge Schonduschen im Sitzen. Wer will das denn? Dafür eine absolute Weltneuheit in Sachen Einrichtung: Der Kühlschrank mit Snacks steht in Reichweite gegenüber der Kloschüssel. Sozusagen Durchlaufverfahren.

Nein!! So nicht!!
... die Nachtischlampen zu hoch, nur gleichzeitig an- bzw. auszuknipsen und darüber unter der zu hohen ein passender Leuchter.

Die Möbel haben den Charme des beginnenden vorigen Jahrhunderts und die Tapete passt sich an: scheusslich süß!Verschiedene Motive spielender Putten in hellblau tummeln sich raumfüllend, auf der Tapete, der Tagesdecke und den Vorhängen. Im Wand-Schränkchen ist Platz für 2 Jacken und drei Hosen - entsprechend die Zahl der angebotenen Bügel - darüber ein Brett. In der Ecke des Schrankes verlaufen die Steigleitungen.

Zwei Steckdosen im Raum - eine am Hauptschalter an der Türe. In der anderen steckt am viel zu kleinen Schreibtisch (Baujahr 1926 schätze ich) die dort platzierte Pseudo-Jugendstil-Lampe, der Schirm gehalten von einem nackten Engelchen in Messingguss.

Ein Stuhl und eine Sesselandeutung im Stil - oder ähnlich.

Dass das Zimmer sich eine Wand mit dem Aufzugsschacht teilt, schreibe ich HRS zu, die die Zimmervermittlung abkassieren und der Gast zahlt den Nachlass mit dem jeweils noch verfügbaren schlechtesten Zimmer. (Das ist nur mein Verdacht.)

So, jetzt ist es gleich 23:00 Uhr und ich sitze in dem Straßen-Restaurant, das nicht zum Hotel gehört. Ich habe gerade gut gespeist:

Foie Gras
Une bonne
Foie Gras

Hühnerbrustfilet
Hünerbrustfilet
mit feinen Gemüsen

Und dazu ein halbe Flasche Rosé. Das Abendessen war sehr gut und durchaus bezahlbar


Track_01
Track_tot
Orange - Albi ( 2.Tag: Sonntag, 22.04.2012 - 352km/8:32h Fahrzeit - Etappe 01)