Absichten muss man verwerfen, Pläne ändern können.
Ich bin im Moment bereits im Park Inn in Orange - das Bike ist auf dem Hänger verzurrt, morgen gehts nach Hause. Soweit die Bestandsaufnahme.
Eigentlich hatte ich in Hondarribia, direkt an der französichen Grenze, meine letzte Nacht in Spanien geplant und gebucht: 170km Tagesetappe, je nach Wetter und Stimmung mit ein paar seitlichen Arabesken entlang der Baskenküste, einen schönen Abschlusstag mit Unterkunft in traumhaftem Parador und vielleicht einem Abendessen in einer Marisceria: Parillada de Mariscos hatten mir vorgeschwebt für den letzten Abend.
Hinter mir lag der anstrengende, aber wunderbare Tag in den Picos de Europa bei schönstem Wetter, was letztlich doch stimmungsbildend ist. Und vor mir? Ein Blick aus dem Fenster belehrt mich: Ein trüber Tag mit tief hängenden Wolken - nichts von dem, was ich mir vorgestellt hatte.
Während des Frühstücks frage ich mich, ob es angesichts des Wetters nicht richtiger wäre, auf diesen letzten "Genusstag" in Spanien zu verzichten und stattdessen die Gesamtstrecke nach Orange mit immerhin über 800km etappenmäßig anders aufzuteilen, als ca. 170km heute + ca. 700km morgen, zumal ja anschließend die knapp 1000km von Orange nach Hause anstanden? Statt Hondarribia wäre doch auch Albi oder Béziers ein lohnendes Zwischenziel?
Im letzten Moment beim Auschecken habe ich entschieden und die Receptionista gebeten, Hondarribia zu stornieren. Entscheidung gefällt. Und los gefahren.
Viel Verkehr. Mein Versuch, mich auf der Landstraße gen Bilbao voran zu arbeiten, gestaltete sich mühsam und unerfreulich. Der Wirtschaftsraum Stantander - Bilbao - San Sebastian mit den dazwischen liegenden kleineren Städten, hat in den letzten Jahren eine sehr dynamische Entwicklung durchgemacht. Die Folgen zeigen sich in wucherndem Wachstum an Straßen und die Wohngebäuden - meißt scheußliche Wohnblocks - werden in den entstehenden Lücken hoch gezogen.
Den Raum nördlich Bilbaos kenne ich noch als ländlich, beschaulich, von herrlichen Stränden gekennzeichnete Fischer-Dörfer entlang der stark gegliederten Küste, dazwischen kleinere Städtchen wie Mungia oder, bekannter, Guernika, die Symbolstadt der Basken - siehe Reise 2002, Tagesetappe San Sebastian - Bilbao.
Das ganze Gebiet ist heute von einem dichten Straßennetz - teilweise in Autobahnformat - durchzogen. Ein Atomkraftwerk kühlt seine Füße in einer ehemals wildromantischen Bucht im Wasser des Atlantik.
Alles in Ordnung und eigentlich viel schöner? (als auf Bäume klettern und im Dreck batzen?) |
Ich bin kein Träumer. Das Leben geht weiter und die Entwicklung hat für die Menschen sicherlich enorme wirtschaftliche Vorteile und die Fähigkeit, die Nachteile zu verdrängen, beherrschen wir alle, nicht nur die Basken. Aber von außen mit den Augen des Durchreisenden gesehen, ist der Lebensraum weitgehend unattraktiv geworden und man muss schon an die ausgesuchten Strände und Orte gehen, wo für den Erholung Suchenden die heile Welt vermarktet wird, um sich den Glauben zu bewahren, alles sei in Ordnung und eigentlich viel schöner geworden.
Was an Eindrücken auf mich einprasselte, passte zum trüben Wetter: Ich fuhr auf der Hauptverkehrsstraße erst Richtung Bilbao, dann weiter nach San Sebastian und etwas vereinfacht ausgedrückt: links zum Meer hin, die scheußlichen Folgen menschlichen Treibens, rechts, hinauf in die Berge, die sich der menschlichen Gestaltungswut weitgehend - einer, ein gewaltiger, wurde gerade zu Schotter geschrottet - entziehen und über allem ein trüber Himmel, der sich in den Hügeln festgesetzt hatte und sich nahtlos bis zum kaum mehr auszumachenden Horizont übers Meer erstreckte.
Ich fuhr und fuhr, fuhr unversehens nach Frankreich rein, fand mich auf der Autobahn nach Touluose wieder. Inzwischen reichten die Wolken auf den Boden herab. Nebel. Nichts zu sehen von den Pyrenäen, an deren nördlichen Ausläufern ich entlang düste. Außer dem Gelegentlichen Hinweis-Schild auf einen Parkplatz oder Tankstelle mit phantastischer Fotographiergelegenheit, die mit ihrem - zumindest heute nicht verfügbaren - Pyrenäen-Blick lockten.
Zwischendrin regnete es immer wieder mal. Und so düste ich und nichts, außer dem leerer werdenden Tank war Anlass, anzuhalten - nichts, zu verweilen und an Fotografieren war nicht zu denken.
Ich wurschtelte mich an Toulouse vorbei und weiter gings nach Osten Richtung Narbonne mit Anschluss an die Autoroute du Sur, die entlang der Mittelmeerküste von Lyon nach Barcelona führt und die ich vor knapp drei Wochen gen Süden gefahren war. Bei Carcasonne begann ich den Einfluß des Mittelmeeres zu spüren. Die Vegetation änderte sich, es wurde wärmer, die Luft weicher; es herrschte nicht mehr der böige, kühle Fallwind von den sicherlich noch schneebedeckten, anhaltend unsichtbaren Pyrenäen, der mich seit Toulouse auf dieser Querfahrt begleitet hatte.
Bei Narbonne war es noch diesig, aber der blaue Himmel kam durch und mit ihm die Sonne - das Leben kehrte zurück und mit ihr die Leichtigkeit des Seins. Ein Stop, ein Kaffé, zwei Zwiebelschalen ausgezogen und die Regenhaut runter und ab gings bei 20° und ehe ich mich versah, lagen die letzten 150km hinter mir und ich fand ein Bett, mein Auto und den Hänger da, wo ich sie erwartet hatte: Im PARK INN in Orange.
Als erstes habe ich mein Motorrad aufgefahren und verzurrt, alle Motorrad-Klamotten im Auto verstaut und alles zur morgendlichen Abfahrt vorbereitet, denn der Blick auf die knapp 1000km ist nur bedingt erheiternd.
Ein schönes Abendessen:
- Frische, grüne Spargel, gegrillt und mit Biß gefolgt von einer
- Entenbrust in Sahnesauße mit grünem Pfeffer und abgeschlossen mit einer
- Crême brulée - dazu diesmal nur Wasser.
Die Entscheidung war richtig - die Nacht bestens. Diese Reise war zu Ende - die Nachbetrachtung, der Rückblick wird sich mit etwas Abstand ergeben, wenn ich die letzten Bilder eingebaut haben werde, denke ich.
Ciao denen, die mich diesmal trotz erschwerter Bedingungen begleitet haben....